Mittwoch, 12. November 2008

Wovor knien wir?

„Nach dem Kommunion-Austeilen sind wir in eine Sakristei unter der Altarinsel gegangen. Dort standen mit weißem Tuch bezogene Wäschekörbe. Die übrig gebliebenen Hostien wurden dort hineingeschüttet. Niemand machte eine Kniebeuge davor. Wie auch? Vor einem Wäschekorb kniet man sich nicht hin. Vor einem Speisekelch mit Velum, also einem Tuch darüber, dagegen schon.“

Kardinal Meisner

Bei allem Respekt, Eminenz, aber ich mache vor keinem von Menschen gemachten Kelch eine Kniebeuge. Vor dem lebendigen, in der Eucharistie anwesenden Herrn schon. (und bei aller Freude, daß Sie uns und vor allem Köln noch erhalten bleiben!)

Solche Äußerungen, die, wie ich es beim Herrn Kardinal vermute, unbedacht ausgesprochen wurden, weist auf eine tiefe Krise des eucharistischen Bewußtseins hin, und zwar nicht nur von den viel geschmähten Modernen Christen. Kann es denn nicht sein, daß zumindest ein Teil der Traditionsfreudigen eher den äußeren Schein (eben die wunderschönen Gesänge, die wunderschönen liturgischen Gewänder etc.) suchen statt den Lebenigen Herrn?

Um auf obige Äußerung nochmal zurückzukommen: Nein, ich bin nicht der Meinung, daß wir auf Blech- und Plastikkelche bzw. -Tabernakel zurückgreifen sollen "um damit den Ritus auf das Wesentliche zu konzentrieren", wie manche Modernisten mir zu erklären versuchen. Es ist jedoch wichtig, Prioritäten zu setzen. Wenn Not am Mann - verzeihung, Kelch - ist, dann hat der Gläubige Katholik trotzdem eine Kniebeuge vor dem Herrn zu machen, denn das Allerheiligste bleibt das Allerheiligste - selbst, wenn es (wie in vietamesischer Gefangenschaft, wie Nguyen Van Thuan - Gott hab ihn selig - es erzählte), in einer Zigarettenschachtel weitergegeben wird.

Sonntag, 2. November 2008

Was bewirkt das Motu Proprio des Papstes? II. Missa paulina, missa concilii.

In der liturgischen Frage darf nicht allzu parteiisch denken, wer Katholik bleiben will. Die „neue Messe“ war nämlich nie die Antithese zur Messform von 1645-1962, weder positiv noch negativ. Daher kann auch kein hinreichendes Verständnis für die liturgische Tradition gewinnen, wer diese nur gegen die verhasste Reform instrumentalisiert.

Lefebvres Landsknechte fahren gegen das Konzil seit ca. 1970 immer dieselben Kanonen auf, ohne quantitativ relevante Wirkung, weil sie ohne Rücksicht auf historische Echtheit, oder auch nur den weiteren Gang der Geschichte, damit losdonnern. „Una voce“ trommelte bereits gegen die Liturgiereform, als die Konstitution des Konzils noch nicht einmal in Kraft getreten war. Auch der meritenreiche Liturgiker Klaus Gamber war keineswegs ein nur unparteiischer Wissenschaftler, wie es auch J.A. Jungmann SJ sicherlich nicht war. Gamber legt einen Brief zum Schott von 1966, von Kardinalstaatssekretär Cicognani verfasst, beharrlich so aus, als habe dieser mit dem „Anschluss“ der Liturgie an das Konzil gemeint, die Reform sei 1965 bereits vollendet. (Vgl. K. Gamber, Die Reform der römischen Liturgie, Regensburg 1979, insb. S. 23 f.) Das wird nachgebetet, obwohl besseres Wissen zur Verfügung stünde (etwa die Ansprachen von Papst Paul VI. in den Generalaudienzen vom November 1969).

Die zuständigen Stellen, voran der Papst, mit ihm das Consilium, die Bischöfe, auch die Kurie, hätten zwar die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum concilium“ enger interpretieren können als geschehen, aber ihnen, und weder Jungmann noch Gamber noch Dritten, stand je die Befugnis zu einer weiten oder schmalen Interpretation zu. Sogar noch „mehr“ Reform wäre drin gewesen (verwirklicht etwa beim Neokatechumenat und dort seit 2008 approbiert). Der Vorstellungshorizont der Konzilsväter wird auffallend immer dann gern als Kriterium herangezogen, wenn der Interpret den normativen Textgehalt nicht gut genug für seine Interpretation auswerten kann. So schwört Andreas Batlogg SJ in den rezenten „Stimmen der Zeit (09/08) darauf, vereint mit O.H. Pesch, die Bischofssynode sei heute noch lange nicht das, was den Konzilsvätern „vorschwebte“. Abwegig. Den Konzilsvätern „schwebte“ kaum je eine konkrete Praxis kollektiver Führung der Kirche durch ein episkopales Politbüro vor; aber andererseits hatten sie auch keine Liturgiereform vor Augen, die nur Fußnoten zu den Rubriken von 1962 liefert, vielleicht noch das Schlussevangelium abschafft, im übrigen aber Latein von Alaska bis Zwasiland noch fester geliert. „Degelée“, Entstarrung war durchaus vom Konzil gewollt; und von Liturgiepapst Paul VI. richtig fortgeschrieben, Tauwetter! Die einzelnen Weisungen der Konzilskonstitution mussten von einer leitenden Idee her verstanden und umgesetzt werden. Diese ist da nicht einmal nur versteckt genannt: Einfachere Teilhabe aller Gläubigen, also an einer Liturgie, die für Pastoral und Kommunikation aufgeschlossen ist. Nicht gemeint war damit, dass sämtliche Pastoral und Katechese außerhalb der Gottesdienste entfällt und innerhalb derselben nurmehr marginal vorkommt. Wahrscheinlich liegen zwar sämtliche „Jugendmessen“ außerhalb dessen, was das Konzil selbst gestattet hat, nicht aber an sich Jugendgottesdienste (z. B. Jugendvigil, Jugendkreuzweg, oder auch ein Kinderrosenkranz). Trotzdem sind diese keine a priori illegalen Events, wie auch nicht die Kindermessen.

Das Datum des so gen. „Zusammenbruchs“ der, eingestanden sei es, fast schon erfrorenen „vorkonziliaren“ Liturgie ist vermutlich schon der erste Fastensonntag 1964 gewesen, als für uns die Messe auf Deutsch möglich wurde, nicht erst der 3. April 1969 (als die Konstitution „Missale romanum“ von Paul VI. erging). Schon seit 1963 (!) kämpft die Liturgiereform also in einem Zweifrontenkrieg, als Instauration und Restauration zugleich. Die späten Kämpfe der Jahre 1974 ff., nach dem Lefebvre-Manifest, waren doch im Vergleich dazu nur noch die Partisanengefechte „post festum“.

Der militante Sprachgebrauch ist unliturgisch, aber er wurde von der extremen Rechten ins tragische Spiel eingebracht. Summorum pontificum gönnt insbesondere diesen Kreisen keine Besitzergreifung der „alten Messe“. Sie ist eben nicht das Sondergut gekränkter Phalanx, romantischer Noblesse oder postmoderner Snobs. Über extreme „Selbstgefälligkeiten“ inmitten des Klerus, von dem auch Freunde der Tradition nicht frei sind, gebietet der Anstand zu schweigen. Um der Liturgie insgesamt willen musste die „alte Messe“ päpstlicherseits zurückgeholt werden in die Mitte der Kirche. So aber wurde sie als Sprengsatz gegen ihre konzilsgemäße Mission entschärft

Der Verbreitung des „älteren Gebrauchs“ sind jetzt eingestandenermaßen nur noch pragmatische, weder doktrinäre noch disziplinarische Grenzen gesetzt. Aber das Motu Proprio bietet keinerlei Handhabe dafür, „alt“ gegen „neu“ ins Feld zu führen, den Illusionen mancher Milizen grauer Wölfe zum Trotz. Liturgiemodernisten beschwören zwar seit 2007 leidenschaftlich die Scheingefahr eines „Rückfalls“ in die Eiszeit. Aber dazu müsste es erst mal im „gemeinen Kirchenvolk“ eine relevante Gegenbewegung gegen die „Liturgiemoderne“ geben, jenseits der Liebhaberzirkel. Die ist aber mit bloßem Auge nicht zu erkennen, allenfalls mikroskopisch klein. Was aber wenn eine solche heranwächst? Why not. Es wächst aber, im Gegenteil, der Zuspruch zu den Konzepten, die das Konzil ermöglicht hat, sogar konfessionsübergreifend, aber auch in den geistlichen Gemeinschaften. Das gilt fast allgemein. Nur von bestimmten professoralen Kathedern her wird wohl überdies eine „Vorwärtsverteidigung“ abgestandener Lieblingsideen praktiziert. Als hätte uns armen Seelen die Liturgiereform je ein „anderes Gottesbild“ gepredigt! „Mutter, Tochter, heilige Geistin, etc. pp.“? Nix da. Solche Schaumträume einer speziellen Generation bedrohten die liturgische Bewegung mutmaßlich schon in ihrem Ursprung. Nennen wir sie unpräzise mal die „Flakhelfer“, auch wenn ihr Großteil älter war und, hierzulande, gewisse Sympathien für die Deutschromantik gar nicht verleugnete, sogar die „Flakhelfer“ und ihre Adepten damit imprägniert hat. Man fühlte sich dort über die römische Romanité erhaben und wollte „los von Rom“. (Man muss befürchten: Hätte der Papst 1968 „die Pille“ freigegeben: Diese Leute wären dann, deshalb, dagegen gewesen.)

Wir jüngeren Europäer sehen das entkrampfter; und können den Anekdoten, die Gerontokraten aus der „grausamen“ Zeit der katholischen Kloster-Erziehung kolportieren, angesichts des heutigen Tohuwabohu, nichts mehr abgewinnen. Insofern war das Konzil ein voller Erfolg. Es ist und bleibt der Dreh- und Angelpunkt echter Erneuerung. Wir kennen den Katholizismus längst nur so, wie ihn das Konzil und die ihm folgenden Päpste justiert haben, „gerechtfertigt“ beinahe. Sogar das fast freikirchlich anmutende „autonome“ Gebaren traditionalistischer Cliquen wäre ohne Konzil völlig undenkbar. Wer die größere Zahl der Katholiken von diesem Kurs würde abbringen wollen, müsste sich (und tut es auch) eines gehässigen Propaganda-Tons befleißigen, mit dem doch nur virtuelle Realitäten erdichtet werden könnten (man denke an manche Web-Auftritte); und die apostolische Wirkung tendiert dann dennoch konstant gegen Null.

Der Dreischritt „Sehen-urteilen-handeln“ aber, wie von Kardinal Joseph Cardijn empfohlen, kommt zu anderen Wahrnehmungen: Wir sehen offenkundig eine moderne Liturgie, die weltweit im Allgemeinen doch funktioniert, mehr als das: Sie teilt das Sakrament weitherzig aus, an die Vielen. Wäre Annibale Bugnini CM der Idiot oder Verschwörer gewesen, zu dem manche ihn stempeln wollen, wäre tatsächlich nur ein Kasperltheater zur Welt gekommen. Die „Missa normativa“, die 1967 bei der Bischofssynode „durchfiel“, ist ja 1969 nicht Gesetz geworden. Vielleicht haben manche Liturgiereformer, die allesamt ihr Latein aber noch beherrschten, zwar dem „organischen Wachstum“ liturgischer Erneuerung zu wenig Respekt gezollt. Aber wie will man in Zeiten der Not ein „natürliches“ Wachstum künstlich erzeugen? Die liturgische Krise ist älter als die liturgische Bewegung. Eine starke, zügige Maßnahme war geboten, als überfällige Antwort auf den in dieser Härte völlig unvorhersehbaren Kollaps von 1964, die „babylonische Sprachverwirrung“ (plötzlich kursierten hunderte Hochgebete in Holland!), die eine untergründige Misere endlich freilegte. Die Liturgiereform hat sich aber nicht als pastorales Allheilmittel erweisen können und wäre mit diesem Titanenauftrag auch offenkundig überfordert. Denn Liturgie ist nicht die einzige Dimension des kirchlichen Lebens. Die Kirche ist nicht nur Tempel, sie ist auch Schule und Volk, Volk sogar im Sinne von Caritas.

Wir sehen andererseits verhetzte, beleidigte Randgruppen, die nicht immer im Unrecht sind, aber die sich oft krass außerhalb der Liebe stellen. Deren selbstgebastelte Messopfertheorien nehmen bisweilen groteske Züge an und rutschen partiell in esoterischen Religionswahn ab. So was hat die Kirche nie gelehrt, auch nicht zu Trient. Wir bekommen unverlangt Post aus diesen Kreisen, für die das gesamte Werk Jesu, mehr noch, ‚l’amour precedent de la creation du monde’ auf die korrekte Übersetzung der Einsetzungsworte zusammenschnurrt, „pro multis“. Das deuten diese „Beter“ aber gern als „für Wenige“ („für mich und 2-3 andere“). Den einschlägigen Satz des Jansenius hat aber bereits Innozenz X. 1653 „cum occasione“ verurteilt. Jesus ist für die Vielen gestorben, im Sinne von: für Euch, und eigentlich für alle.